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Samira El-Maawi: In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel (2020)

Worum geht’s?

Für die Ich-Erzählerin gehört «anders» zu sein zum Alltag. Sie wächst in der Schweiz der 80er Jahre als Tochter einer Schweizerin und eines Mannes aus Sansibar auf. Der Vater ist Koch, er hat eine feine Nase und kann aus einem Gericht jedes einzelne Gewürz herausriechen. In der Kantine, wo er arbeitet, gefällt es ihm nicht, weil er immer dieselben langweiligen Gerichte kochen muss. Als er eine Salatsosse etwas «spannender» macht, wird er fristlos entlassen. Von da an kommen zu den kulturellen Spannungen in der Familie auch noch Geldsorgen.

 

Der Text ist sehr glaubhaft aus der Perspektive der zehnjährigen Tochter erzählt. Sie versteht vieles noch nicht, warum ihr Vater zum Beispiel oft ignoriert wird, oder warum wildfremde Menschen ihr Haar anfassen möchten. Das Buch erzählt vom Alltag mit ihrem aus «Afrika» zugewanderten Vater und der Schweizer Mutter, von Alltagsrassismus in der Schweiz der 80er Jahre und dem Aufwachsen zwischen zwei Kulturen.

 

Meine Lieblingsstelle

Der Vater erzählt zu Hause, der Chef der Kantine habe keine gute Nase, sie sei verklebt mit Aromat.

 

Was mir am Buch besonders gefällt

Der Debütroman von Samira El-Maawi ist ein schmales, schnell gelesenes, gehaltvolles poetisches Werk. Das Buch sensibilisiert für Alltagsrassismus. Es geht dabei meist um subtilen Rassismus, vor dem auch die vermeintlich so aufgeschlossene Mutter nicht gefeit ist. Sie ist stolz auf den Vater, weil er exotisch ist. Sie romantisiert Afrika, hält in Schulen Vorträge über Afrika und trägt dabei traditionelle afrikanische Gewänder. Dass dies auch eine Form von Rassismus sein kann, würde ihr nicht im Traum einfallen.

 

Die Sprache des Buches ist poetisch und repetitiv. Sie gibt dem Ganzen ein Gerüst, zeigt aber auch die Schwierigkeiten und Unsicherheiten der Protagonistin auf. Sätze wie «Mein Vater baut sich eine Insel mitten in der Schweiz.» oder «Ich weiss mehr über die Geschichte von Nelson Mandela als über die Geschichte meines Vaters.» wiederholen sich immer wieder.

 

Das Spannende an der Literatur ist ja, dass sie uns ermöglicht, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, sie eröffnet uns neue Perspektiven. Auch wer selber nie rassistische Erfahrungen gemacht hat, bekommt durch diese Erzählung einen Eindruck davon, wie das für die Ich-Erzählerin gewesen sein muss. Toll ist, dass die Ich-Erzählerin nicht bewertet, sondern nur erzählt.

 

Das Buch hat einen traurigen Grundton, der auch betroffen macht.

 

Originalton aus dem Buch

Meine Mutter ist stolz, wenn sie über die Heimat meines Vaters spricht. Ich glaube, weil es etwas Exotisches ist, jemanden aus Afrika in der Schweiz zu haben.

Wie die Kokosnüsse in der Migros, die sind auch etwas Spezielles, weil sie nicht bei uns wachsen.

Mein Vater riss seine Wurzeln in Sansibar heraus und pflanzte sie wieder in der Schweiz ein. Hier kann er weiterwachsen. «Langsam, aber sicher verwurzelt er sich», meint meine Mutter.

«Wie lange geht es denn, bis sich eine Pflanze ganz verwurzelt?», frage ich sie.

«Das kommt auf die Pflanze drauf an.»

«Und auf die Erde», fügt meine Schwester hinzu.

 

 

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