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Kim de L’Horizon: Blutbuch (DuMont, 2022)

Worum geht’s?

Eine kurze Zusammenfassung dieses Buches ist kaum möglich. Die Hauptfigur – Kim genannt – beschreibt ihr Verhältnis zur Grossmutter in sprachlich sehr unterschiedlich gestalteten Kapiteln: Erinnerungen, Beschreibungen, Recherchen, Briefen. Sie switcht dabei locker zwischen Deutsch und Englisch hin und her. Eine zentrale Rolle spielt die Blutbuche, die der Urgrossvater zur Geburt der Grossmutter im Garten gepflanzt hatte. Die Hauptperson sucht nach ihren Wurzeln, sie erschreibt sich einen weiblichen Stammbaum und verwebt darin ein intensiv recherchiertes Kapitel über Blutbuchen. Doch im Kern geht es um die Suche nach sich selbst. Wer ist Kim, der/die sich weder männlich noch weiblich definiert und mithilfe der Dating-App Grindr einsame Abende bekämpft?

 

Was mir am Buch besonders gefällt

Kim de L’Horizon hat für «Blutbuch» sowohl den Schweizer als auch den Deutschen Buchpreis bekommen, etwas, das bisher nur eine einzige Schweizer Autorin geschafft hat: Melinda Nadj Abonji, 2010, mit ihrem tollen Roman «Tauben fliegen auf».

 

Das Buch ist ein komplexer Mix aus verschiedenen Genres, Sprachen und Stilen, es wagt literarisch viel. Wer leichte Zerstreuung sucht, wird damit nicht glücklich werden. Wer jedoch Irritation und Herausforderung beim Lesen mag, erhält – wie ich – Einblicke in eine bisher unbekannte queere, non-binäre Lebenswelt.

 

Der Text hat mich herausgefordert und bereichert. Gepackt hat mich vor allem der letzte Teil des Romans, wo Kim mit den zwei Schreib-Freund:innen Dina und Mo im Tessin in einem Atelier weilt und die drei über sich selbst, die Welt und die Literatur philosophieren. Wir lesen dies in englisch geschriebenen Briefen von Kim an seine «Dear Grandma», denn nur in einer Fremdsprache kann er/sie über Dinge schreiben, über die mensch sonst nicht schreibt - und schon gar nicht spricht. Das fand ich spannend und berührend.

 

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