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Rebecca F. Kuang: Yellowface (Eichborn, 2024)

Aus dem Englischen von Jasmin Humburg

 

Worum geht’s?

June Hayward und Athena Liu kennen sich aus dem Studium. Athena ist erfolgreich, sie hat für ihr neustes Buch soeben einen Vertrag mit Netflix erhalten. Junes erster Roman hingegen wurde nur in kleiner Auflage gedruckt und ist inzwischen in Vergessenheit geraten. In ihrem Job als Aushilfslehrerin langweilt sie sich fast zu Tode, und Inspiration für einen zweiten Roman hat sie auch keine. Als die beiden in Athenas Wohnung den Netflixvertrag feiern, erstickt Athena auf tragische Weise an einem Pancake. June ist schockiert, hat zuerst noch Angst, dass sie wegen Mordes verhaftet wird, und merkt erst später, dass sie Athenas neustes Manuskript in der Tasche hat, das diese ihr zum Lesen gegeben hatte.

 

Später liest sie Athenas Text und ist fasziniert. Die letzte Front handelt von hundertvierzigtausend Arbeitern des chinesischen Arbeitskorps, die von der britischen Armee rekrutiert und während des Ersten Weltkriegs an die alliierte Front geschickt wurden. Ein Thema, das die chinesisch-amerikanische Athena offensichtlich stark beschäftigt hat. June ist inzwischen überzeugt, dass Bücher von «normalen weissen Mädchen» beim grossen Publikum kein grosses Interesse wecken, und sie erkennt in Athenas Text das Potential zu einem Bestseller, weiss aber auch, dass der Text noch viel Arbeit braucht. Was soll sie tun? Das Manuskript offenlegen? Es zu Ende schreiben und als gemeinsame Arbeit ausgeben? Sie entschliesst sich, das Manuskript zu bearbeiten und stürzt sich in Recherchearbeit, so dass sie bald bestens Bescheid weiss über das Thema. Sie kann es unter dem Pseudonym Juniper Song bei einem renommierten Verlag unterbringen, erhält einen unanständig hohen Vorschuss und wird über Nacht zur Bestsellerautorin. Jetzt hat June aber mehrere Probleme. Sie muss das Geheimnis von Athenas Manuskript bewahren, denn es gibt da ein paar Menschen, die in dem Text Athenas Stil und Thema erkennen. Und sie muss sich gegen Anfeindungen im Internet wehren, weil die Leserschaft bald merkt, dass sich hinter dem asiatisch klingenden Pseudonym Juniper Song eine weisse Frau verbirgt, die offensichtlich mit einem Thema, das nichts mit ihr zu tun hat, Geld verdient.

 

Es werden viele relevante Themen verhandelt: Freundschaft, Konkurrenz, der Literaturbetrieb, kulturelle Aneignung, die Frage, wie weit man gehen würde, um Erfolg zu haben. Alles in einem jugendlichen, unterhaltsamen, saloppen Stil, der die Leserin zu jedem Zeitpunkt bei der Stange hält.

 

Was mir am Buch besonders gefällt

Die Frage, wer welche Geschichte erzählen darf, ist gerade allgegenwärtig. Muss man schwarz, schwul, Frau oder nonbinär sein, um eine Geschichte über Schwarze, Schwule, Frauen oder Nonbinäre zu schreiben? In Rebecca F. Kuangs Buch heisst die Frage: Muss man eine asiatische Herkunft haben, wenn man das Unrecht anprangert, das chinesischen Zwangsarbeitern im Ersten Weltkrieg angetan wurde?

 

Das Buch ist lebendig und anschaulich geschrieben. Die Autorin schafft es, dass ich mit June mitgefiebert habe, obwohl ich es ja unglaublich unfair fand, wie June sich Athenas Text zu eigen gemacht hat. Der saloppe Stil und der spannende Plot verleiten zu einer schnellen Lektüre, die inhaltlich aber alles andere als oberflächlich ist.

 

Originalton aus dem Buch

Anfangs ist es bloss eine Spielerei. Eine Schreibübung. Ich wollte das Manuskript nicht umschreiben, sondern vielmehr testen, ob ich die Lücken füllen kann; ob ich genügend technisches Know-how habe, um so lange zu schraffieren, zu glätten und auszumalen, bis das Bild fertig ist. […] Aber dann machte ich einfach weiter. Ich konnte nicht aufhören. Man sagt, es sei viel einfacher, einen schlechten Entwurf zu überarbeiten, als eine leere Seite zu füllen, und es stimmt – ich bin in diesem Moment so überzeugt von meiner Arbeit. Immer wieder fallen mir Formulierungen ein, die viel besser zu dem Text passen als Athenas fantasielose Beschreibungen. Ich erkenne, wo das Tempo nachlässt und streiche die abschweifenden Lückenfüller gnadenlos raus. […]

 

Ich weiss, ihr werdet es mir nicht glauben, aber zu keine Zeitpunkt dachte ich, Ich nehme mir den Text und mache ihn mir zu eigen. Es ist nicht so, als hätte ich mich hingesetzt und einen bösen Plan geschmiedet, um von der Arbeit meiner toten Freundin zu profitieren. Nein ehrlich – es fühlte sich ganz natürlich an, als wäre es meine Berufung, als wäre es gottgewollt. Als ich erst einmal angefangen hatte, war es die offensichtlichste Sache der Welt, dass ich Athenas Geschichte vervollständigen und dann auf Hochglanz bringen sollte.

 

Und danach – wer weiss? Vielleicht könnte ich den Text auch für sie veröffentlichen.

 

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